Über pinkygloves wurde schon vieles gesagt. Unter dem Hashtag #pinkygate hagelte es Vorwürfe und wüste Beschimpfungen. Sogar Todesdrohungen sollen die zwei deutschen Gründer des Hygieneprodukts für Frauen erhalten haben. Wie konnte es so weit kommen?
ecosystem
Die Relevanz, nach wie vor über pinkygloves zu sprechen, liegt auf der Hand: Themen wie das Scheitern, das Testen von neuen Ideen am Markt und die Frauenquote in der Startup-Szene beschäftigen Gründer:innen auch hierzulande. Mit Natasa Deutinger (Leiterin des Service-Points FHStartup Center) und Aleksandra Nagele, Organisatorin der Salzburger Fuckup-Nights und Kommunikationsexpertin, wagen wir deshalb eine umfangreiche Ferndiagnose.
Die Gründer Eugen Raimkulow und Andre Ritter traten ganz in pink und mit kokettem Spruch – „Wir sind echte Frauenversteher“ – vor die Jury der Serie „Die Höhle des Löwen“ (das deutsche Pendant zu „2 Minuten, 2 Millionen“, Anm.) des Senders VOX. Ihr Produkt: ein pinker Einweghandschuh aus Plastik, mit einem Klebestreifen, um darin gebrauchte Tampons geruchsfrei einzuschließen und hygienisch zu entsorgen. Soweit die Idee.
Mit diesem Produkt haben sie dann tatsächlich einen Need und einen Nerv gleichermaßen getroffen. Den Need von menstruierenden Frauen, dafür nicht stigmatisiert zu werden und den Nerv, damit schon viel zu lange konfrontiert zu sein. Nach der Ausstrahlung, wurde die Kritik dementsprechend laut. So laut, dass in den Medien ein regelrechter Hype entstand, pinkygloves nach allen Regeln der Kunst zu zerlegen. Der Hashtag #pinkygate machte Schlagzeilen. Die Gründer zogen schlussendlich die Konsequenzen – am 20. April 2021, eine Woche nach Ausstrahlung der TV-Episode, wurde der pinke Handschuh eingerollt.
Hätten die beiden all das voraussehen können? Möglicherweise schon. Denn eine elementare Komponente im Aufbau eines Startups ist die Validierung der Idee. Gerade am Anfang einer Unternehmensgründung muss der Blick über möglichst viele Tellerränder gehen. Vor allem über den eigenen und den seines Umfelds. Grundsätzlich gilt:
„Jedes Startup ist am Anfang nur eine Hypothese“
– Natasa Deutinger
Natasa: Mit einer Idee arbeitet man im luftleeren Raum. Man stellt Hypothesen auf, wie sie am Markt funktionieren könnte. Von dieser Theorie muss man sich relativ schnell lösen und beginnen, im Feld zu testen. Dafür gibt es unzählige Methoden wie Experimente, Umfragen oder Fokusgruppen. Das kann man nicht auslassen, wenn man das Risiko für die eigene Geschäftsidee minimieren will. Es kommt dann natürlich häufig vor, dass Gründer:innen ihr Produkt oder Service nochmal anpassen müssen.
Aleksandra: Nach einer CB Insights Studie scheitern 42 Prozent, weil sie ihren Markt nicht gut genug kennen. Ich glaube, das war hier der Fall.
Im Fall von pinkygloves war das Produkt nicht nur an der eigentlichen Zielgruppe vorbei, sondern auch am Zeitgeist. Nichts ließ die Gummihandschuhe wirklich innovativ oder als ökologisch wertvoll erscheinen. Mehr noch, sie griffen nach veralteten „Typisch-Mädchen“-Klischees, die niemand mehr lustig findet.
Aleksandra: Sie haben Gender, Nachhaltigkeit und Feminismus ausgeklammert. Gerade bei Startups und innovativen Gründungen reicht es aber nicht mehr, nur den Nutzen des Produkts in den Vordergrund zu stellen. Die Gesellschaft will wissen, warum man das überhaupt braucht. Das große Why, warum es die Welt zu einem besseren Ort macht. Das wurde hier nicht mitgedacht.
Natasa: Der Grundgedanke der Grundhygiene ist per se nicht schlecht. Die Stereotypisierung – das Pink – das ist das Problem. Es gibt eben leider noch eine Unterscheidung der Geschlechter und das haben die Gründer – wahrscheinlich ungewollt – nochmal verdeutlicht.
Als der Sturm schon tobte, versuchten sie vergeblich zu vermitteln. Mit dem Statement, sie hätten für dieses wichtige Thema der Periode Aufmerksamkeit geschaffen, gelang ihnen keine Trendwende mehr. Die heftigen Reaktionen im Netz sind jedoch großteils auf ihren Pitch zurückzuführen:
Aleksandra: Dass sich da zwei Männer auf die Bühne stellen und behaupten, sie wären die super Frauenversteher, ist relativ heikel. Und hat bestimmt viel dazu beigetragen, dass sie so viel Negativität abbekommen haben. Denn Produkte, die extra für Frauen gemacht wurden und keinen Mehrwert haben – man denke an pinke Rasierer – gibt es ja schon länger und da blieb der große Aufschrei aus.
Im Gründungsprozess ist es also durchaus von Vorteil, beim Erarbeiten der Unternehmenskommunikation, nicht auf die Krisenkommunikation zu vergessen.
Pinkygloves nehmen es jedenfalls hin, sie sind auf die Nase gefallen. Sie sind gescheitert. Ob sie Gründerpersönlichkeiten sind, werde sich jetzt zeigen, sagt Aleksandra. Rappeln sie sich wieder auf und sehen die enorme Aufmerksamkeit als Chance? „Jeder Fail kann ein guter Fail werden, auch im Falle von pinkygloves“, sagt die Expertin in Sachen positiver Scheiterkultur. „Als ich von pinkygate gehört habe, war meine erste Reaktion – die beiden hätte ich gerne auf der Fuck-up Bühne!“ Eine Message liegt ihr nämlich besonders am Herzen:
„Nur weil ein Projekt gescheitert ist, ist man deshalb nicht als Mensch gescheitert.“
– Aleksandra Nagele
In der Praxis werde das leider oft vermischt. Die Fuckup-Nights dienen hier zur Aufklärung und möglicherweise als Prävention, damit nicht zu viele innovative Ideen aus Angst vor Kritik oder Misserfolg in der Schublade liegen bleiben.
Als Gesellschaft sind wir mehr und mehr „woke“ und reflektiert. Wir sind dabei aber auch oft ziemlich wütend. In einer Zeit, in der auf Social Media aus einem Impuls heraus jeder, jederzeit und zu allem seine Meinung verkünden kann, müssen sich Gründer:innen also eine dicke Haut zulegen.
Fehlt uns eine vernünftige „Netiquette“ (Streit-Etikette im Netz, Anm.)?
Aleksandra: Ich sehe bei pinkygloves definitiv nicht nur einen unternehmerischen Fail, sondern einen gesamtgesellschaftlichen Fuck-up. Die Art und Weise wie die Gesellschaft darauf reagiert – bis hin zu Morddrohungen! – das ist einfach genau das, gegen das wir bei den Fuck-up Nights plädieren. Wir brauchen eine konstruktive Feedback- und Diskussionskultur, die auf einer persönlichen Ebene nicht wertend ist.
Was uns auch fehlt, ist eine höhere Quote an weiblichen Startups. Kurioserweise gingen beispielsweise die zwei Gründerinnen von ooia, einer nachhaltigen Periodenunterwäsche, ohne Finanzierung eines „Löwen“ aus der „Höhle“. Warum dann ein Produkt wie pinkygloves dort ein Investment erhält, das prangerten sie auf ihrem Instagram Account an.
Ein Blick auf den aktuellen Austrian Startup Monitor (Stand Mai, 2021) zeigt deutlich: Frauen sind in klassischen Startups nach wie vor unterrepräsentiert. Darin heißt es: „2020 gab es in Österreich rund 1.300 Startup-Gründerinnen und 5.700 Startup-Gründer. Das entspricht einem Frauenanteil von 18% (+6% im Vergleich zu 2018).“
Natasa: Ein klassisches Startup ist innovativ, das heißt, es liegen neben innovativer Geschäftsmodelle, meistens technologieorientierte Felder vor. Hier gibt es noch immer unverhältnismäßig wenig Frauen, sowohl in adäquaten Bildungssektoren als auch Berufsfeldern. Damit ist es logisch, dass wenige Startups aus einem rein weiblichen Gründerteam bestehen. Denn die Kompetenzen müssen ja erst in der Aus- und Weiterbildung erworben werden. Das Ziel muss sein, hier den Frauenanteil zu stärken. Man erkennt zwar schon, dass sich etwas tut, gerade im Bereich der Investorinnen. Man sollte allerdings noch früher ansetzen. Meine Töchter zum Beispiel, haben sich schon oft über die Mädchen-Versionen von Spielsachen geärgert. Genau darin liegt das Problem – die Unterscheidung von Mädchen und Burschen beginnt sehr früh.
Aleksandra: Es ist etwas in Veränderung, aber ich würde nicht sagen, dass die große Wende für Frauen schon stattgefunden hat. Wobei es sicherlich viele Frauen gibt, die an Technik interessiert sind. Vielleicht geht es mehr um das Zutrauen. Wenn man ein Klischee aufgreifen will – Frauen setzen sich tendenziell lieber auf die sichere Bank. Ich sehe das bei meinen Vorbereitungsgesprächen zu den Fuck-up Nights. Frauen glauben oft nicht, dass sie etwas Wertvolles zu erzählen hätten.
Der Ursprung der geringen Anzahl an Female Founders wurzelt also schon in der Erziehung und in gesellschaftlichen Bildern. Das Bestreben, Mädchen und jungen Frauen mehr Selbstbewusstsein in die Wiege zu legen, wird aber zunehmend stärker. Selbst große Konzerne haben den Need erkannt und setzen sich dafür ein. Das preisgekrönte Video von Always macht Mut, dass die Zeit der Stereotypisierung von Mädchen und Frauen bald hinter uns liegt.
Und wer weiß – vielleicht wagen pinkygloves nochmal den Versuch; mit einem weiblichen Advisory Board und einer nachhaltigeren, grünen Version.
(Copyrights: Titelbild © Deon Black on LetsTalkSex)
Veröffentlicht am 5. Mai 2021