Das Startup LiveVoice formte sich aus einem Geistesblitz des Kommunikationsexperten Johannes Wigand, als er feststellte, dass bis jetzt noch niemand analoge Audiogeräte ins 21. Jahrhundert geholt hat. In rasantem Tempo entwickelte sich das Projekt zu einer global skalierbaren und funktionierenden Geschäftsidee und ist nun Teil der FACTORY #6.startups
Johannes‘ Idee brachte sofort alle Attribute mit, die auf ein spannendes Startup hindeuten: Es gibt nichts Vergleichbares, es handelt sich um eine digitale Version einer analogen Technik mit absehbarer Chance auf Skalierbarkeit und kann durch ein günstiges Preisschema auf globalem Niveau verkauft werden. Was will man mehr? Und tatsächlich wird die digitale Audioübertragungs-App LiveVoice nur ein Jahr nach dem offiziellen Launch in 2020 auf allen fünf Kontinenten verwendet. Ein Bilderbuchstart.
Aber erstmal der Reihe nach…
Die Grundidee entsprang einige Jahre zuvor (typisch für eine versteckte erste Startup-Etappe) aus einer Problemsituation: Als Johannes – damals noch Channel-Manager für Red Bull – und seine Frau, eine Dolmetscherin für Spanisch und Englisch, Audiogeräte für internationale Gäste einer Salzburger Kirche (bei der sie sich ehrenamtlich engagieren) besorgen wollten. Die seien völlig überteuert gewesen „für das was man bekommt“. Immerhin handelt es sich dabei doch „nur“ um einen Audioübertragungsweg, meint Johannes. Daraus entstand die konkrete Überlegung eine digitale Version von analogen Dolmetschanlagen zu entwickeln. „Ich bin mit dieser Idee auf meinen alten Studienfreund Alexander Pöll zugegangen. Er hat eine eigene Agentur für Web-Development in Wien, war begeistert von der Idee und stieg gleich als Gründer mit ein.“
Möglich gemacht wurde LiveVoice bisher durch Bootstrapping – also aus finanziellen Eigenmitteln und viel persönlichem Einsatz der mittlerweile vier Gründer. Während sie in die Zukunft von LiveVoice investieren, behalten sie deshalb ihre „Brotverdienstjobs“. Das erfordert ein gutes Zeitmanagement. Obwohl es Johannes ganz gut gelingen würde, beide Berufsbereiche zu managen und trotzdem noch Zeit für das Familienleben einzuplanen, bleibt es dennoch eine tägliche Herausforderung: „Ich bin nicht der klassische Startup-Typ, der seine Idee schon aus dem Studium heraus gründet und sich dann monatelang nur von Wurstsemmeln ernähren kann. Natürlich geht man mit einer eigenen Familie, für die man Verantwortung trägt, ein größeres Risiko ein. Ich habe mich mittlerweile selbstständig gemacht und wir sind für LiveVoice gut aufgestellt, um damit erfolgreich zu sein“, so der gebürtige Grazer.
Mit seinem „realistischen Optimismus“ schickt Johannes LiveVoice von Anfang an in die Offensive am Markt, wo das Software-Tool zur Live-Audioübertragung eine ausgezeichnete Figur macht. Eingesetzt wird es bei kleineren Touristenführungen, Silent Stages, Auktionen oder Großevents. Für das Fifteen Seconds Festival in Graz war es beispielsweise die offizielle „Drop-in“ Audio App. Praktisch: Besucher:innen mussten nicht ans andere Ende der Stadt rennen, damit sie keinen Vortrag verpassen. Sie konnten sich einfach auf ihrem Smartphone in der LiveVoice-App zur richtigen Bühne klicken um den jeweiligen Sprecher:innen zuzuhören.
Erfolgreich ist die Software nicht nur, weil sie die erste ihrer Art ist, sondern auch dank der einfachen Bedienbarkeit durch das simple Interface. Das ist so gut wie möglich auf die drei unterschiedlichen User:innen abgestimmt: Auf der einen Seite die Besucher:innen, die entweder auf ihren Smartphones oder ihren Computer digital in die Applikation einsteigen. Andererseits die Dolmetscher:innen, die das Event für die Zuhörenden über die App (in Echtzeit) übersetzen. Und dann gibt es noch die „eigentlichen“ Kund:innen des Startups – die Administrator:innen bzw. Organisator:innen der Eventformate.
Da LiveVoice als „Software as a Service“ konzipiert wurde, gestalten die Organisator:innen ihre Veranstaltungen selbst. Dafür legen sie einen Account an, buchen einen Tarif – je nach Größe der Veranstaltung – und managen dann das Event. Wie auch bei Videokonferenz-Systemen wie Zoom oder Google Hangouts, senden sie dafür Links mit den jeweiligen Codes an die Teilnehmer:innen und Dolmetscher:innen. Für Dolmetscher:innen und Zuhörer:innen ist die App kostenlos.
LiveVoice hat also viele Facetten, die am Markt attraktiv funkeln. Eine davon ist auch die Barrierefreiheit, die damit möglich wird. (Man denke nur an die Live-Übertragungen im analogen „Zweikanalton“ für Blinde – zwei unterschiedliche Audiokanäle – bei Sportevents wie Formel 1 oder Skicups.) Auch das Thema Nachhaltigkeit kommt dabei nicht zu kurz: Da LiveVoice komplett digital ist, müssen Veranstalter:innen keine Dolmetscher:innen mehr einfliegen lassen. „Das hat ein Event des Projekts Healing Alps von Innovation Salzburg schön gezeigt. Bei dem hybriden Format konnten die Besucher:innen entweder vor Ort in Bad Gastein oder von zuhause aus teilnehmen. Die Übersetzer:innen selbst waren in Italien vor ihren Bildschirmen, wo sie das Event über einen Videostream verfolgten und zeitgleich für die Zuhörer:innen übersetzten“, so Johannes. Ein zusätzliches Service bietet das Startup mit Kontakt zu Dolmetscher:innen: „Hier gibt es definitiv einen Need bei Kund:innen und so bauen wir unser Netzwerk aus.“
Wie krisenfest das Startup ist, zeigte sich schon kurz nach der Gründung „im Auge der Covid-Pandemie“: Die drängte sie nämlich dazu, der App neue Features zu verpassen. „Es ist wichtig, dass LiveVoice auch auf Online-Plattformen integriert werden können. Diese technischen Erweiterungen erfordern natürlich viel zusätzlichen Zeitaufwand und finanzielle Mittel. Langfristig wird es sich aber bezahlt machen“, sagt Johannes.
Und noch etwas Gutes sieht der Gründer an der Pandemie: Das Vertrauen der Menschen in „digital-only“ ist gestiegen. Manager:innen, Führungskräfte und Veranstalter:innen hätten gemerkt, dass man sich durchaus auf digitale Technologien verlassen und damit erfolgreich (weiter)arbeiten kann. Die Zukunft sieht Johannes sowieso in hybriden Eventformaten. „Die Skalierbarkeit von LiveVoice ist hier schier endlos und unsere Kund:innen haben damit so viele neue Möglichkeiten, ihre Veranstaltungen zu erweitern oder zu modernisieren.“
Obwohl das Go-to-Market vorbildlich funktioniert hat, will Johannes in der FACTORY noch an der Kür, am Feinschliff der Zielgruppen-Strategie arbeiten. „Wir freuen uns auf das Coaching, das Know-How und die neuen Kontakte, die wir hier knüpfen werden“. Außerdem gehen sie im November 2021 als Teil des FACTORY-Programms einen nächsten großen Schritt: die Gründung als GmbH. Damit wird sich Johannes als Vollzeitkraft in seiner Rolle als Geschäftsführer ausschließlich der Zukunft von LiveVoice widmen. Neben seinen drei Co-Gründern Alexander Pöll, Sebastian Pöll und Christian Tessarek wird dann auch die Mannschaft erweitert, etwa mit iOS und Android Entwickler:innen sowie Designer:innen. Und so kündigt sich die nächste spannende Saison für das Startup an.
Wie ist deine persönliche Einstellung zum Gründen?
„Ich bin jemand der versucht, Optimismus und Realismus in Einklang zu bringen. Ich gründe nicht nur um zu gründen und weil es cool ist ein Startup zu haben. Ich will ein nachhaltiges Unternehmen gründen, das nicht nur schnell hochgezogen und dann wieder verkauft wird, sondern eines, das einen nachhaltigen Unterschied macht.“
Du bist dreifacher Familienvater und jetzt auch Startup-Besitzer. Wie bringst du das alles unter einen Hut?
„Ja, das ist manchmal wirklich nicht so leicht. Ich versuche, mir immer bewusst Zeit für alles zu nehmen. Natürlich bin ich dedicated aber ich lebe nicht nur für die Arbeit. Und natürlich ist es eine tägliche Herausforderung allen Bereichen des Lebens gerecht zu werden. Mir persönlich hilft es aber auch sehr, regelmäßig durch Zeit mit Gott im Gebet zur Ruhe zu kommen. Als Mensch, der an Jesus glaubt, bin ich überzeugt, dass es mehr gibt als den Alltagstrott oder die Business-Welt, und dass jemand eine gute Absicht mit meinem Leben hat. Das nimmt mir sehr viel Druck und hilft die Dinge in Relation zu bringen.“
Wie gehst du oder wie geht ihr in eurem Startup-Alltag mit dem Thema Nachhaltigkeit um?
„Erstens arbeiten wir remote aus Salzburg, Wien, Graz und Innsbruck. Damit machen wir auch alles digital und könnten beispielsweise gar kein Papier sparen. (lacht) Wenn ich nach Wien fahre, nehme ich immer den Zug, das ist sowieso praktischer. Unsere Firmenkultur ist also nicht explizit ’nachhaltig‘, sondern Nachhaltigkeit gehört für uns völlig natürlich zum Alltag. Ich finde, das ist heutzutage ein ganz normaler Bestandteil davon, ein Unternehmen zu gründen und müssen wir gar nicht extra betonen.“
(Copyright Bilder: LiveVoice)
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Veröffentlicht am 11. November 2021